fünf Reihen mit Personen-Piktogrammen. 49 sind blau, eines ist rot

Spender-Klischees begegnen

Was wissen wir eigentlich von den Spender*innen, die wir zu hunderten, zu tausenden, zu hunderttausenden anschreiben? Wissen wir mehr als Senioren-Klischees, als Stichworte zu Sinus-Milieu-Kartoffeln, als idealtypische Personas? Wie viele Fundraiser*innen haben tatsächlich regelmäßig Kontakt zu Spenderinnen und Spendern?

Und weiter: Wer von uns spendet selber regelmäßig für ein oder mehrere Organisationen? Wer von all den agilen und eloquenten – auch jüngeren – Fundraiser*innen und Agentur-Berater*innen reflektiert sein eigenes Spendenverhalten und lässt es als Erfahrung mit in seinen Berufsalltag einfließen? Nein, wir sollen nicht von uns auf alle Spender*innen schließen. Aber das eigene Verhalten hilft vielleicht, die Vielschichtigkeit der Spenderbeziehungen zu verstehen.

Wir Fundraiser*innen denken ja gerne, dass wir Mailing-Expert*innen sind. Ja. Aber: Echte Experten*innen bei Mailings sind mindestens auch die Spenderinnen und Spender. Denn wenn wir unsere 2-12 Briefe im Jahr aussenden, erhalten Spender*innen leicht mal 20-70 Schreiben jährlich. Denn nach allen Befragungen geben spendenaffine Menschen durchaus 5-15 Organisationen regelmäßig.

Ich, um mal konkret zu werden, spende ganz unterschiedlich. In meinem Spenden-Portfolio sieht es in etwa so aus:

  • ein jährlicher Lastschrifteinzug, ergänzt durch 1-2 spontane Spenden.
  • eine monatliche Lastschriftspende
  • eine quartalsweise Spende
  • sechs jährliche Mitgliedsbeiträge, selten gibt es dazu noch eine Spende
  • eine Förderkreismitgliedschaft
  • eine Patenschaft
  • sporadisch eine jährliche Spende an vier bis sechs unterschiedliche Organisationen
  • Einzelspenden: Katastrophen, Bitten von Bekannten, spontanes Reagieren auf einen Aufruf
  • Spenden an Menschen direkt, die es nötig haben

Ich spende per Lastschrifteinzug, Online-Banking und nutze Spendenformulare via PayPal, Sofortüberweisung oder Lastschrift. Und gelegentlich schicke ich Bargeld per Post. Thematisch decke die Felder Umwelt, Verkehr, Soziales, Katastrophenhilfe und internationale Hilfe ab.

Und wie geht es mir mit den diversen Schreiben? Die klassischen Mailings lese ich nur aus beruflichem Interesse. Als Spender interessieren sie mich nicht, da sie eh alle nach den gleichen Schemata geschrieben sind und mich meist langweilen. Ich nehme den Zahlschein nur als Aufhänger. Nur wenige enthalten für mich eine neue Botschaft. Wenn einmal eine etwas ausführlichere Publikation kommt, bleibt sie am Tisch liegen und wird irgendwann durchgeblättert. Newsletter ohne erkennbaren Mehrwert lösche ich meist nach den ersten fünf Zeilen oder der stupiden Überschrift.

Zu Weihnachten fällt mir meist ein, dass einige Organisationen noch keine Spende erhalten hatten. Wenn dann ein Zahlschein vorliegt, gibt es sie noch. Ansonsten halt nicht. Meist sehe ich erst bei der Steuererklärung und den bis Juni eintrudelnden Zuwendungsbestätigungen, wer im vergangenen Jahr bedacht wurde und wer nicht.

Kurzum: Als Spender bin ich nur bedingt berechenbar und agiere oft nach Lust und Laune. Und da werde ich sicher nicht der Einzige sein.

Nur weil ich einmal Forelle gegessen habe, bedeutet dies noch lange nicht, dass ich immer und überall Forelle oder Fisch essen möchte. Und genau so wenig bedeutet es, nur weil ich einmal eine Überweisung über irgendein Spendenmodul getätigt habe, dass dies mein bevorzugter Kommunikationskanal ist.

Wir dürfen Spender*innen nicht nur als Responsequote oder in Kategorien wie offline und online, Major Donor oder Stifter, Einmal- oder Dauerspender*innen wahrnehmen. Wir müssen uns von den Klischees unserer Vorstellung lösen und ins Feld gehen, die Menschen kennenlernen. Und wir müssen lernen, was sie an der Arbeit unserer NPO begeistert.

Bei den meisten der kleineren und mittleren NPOs werden auch ausgefeilte Datenanalysen nicht helfen, die Spenderschaft wirklich zu verstehen. Und bei den sehr großen NPOs wirkt es manchmal eher wir Hilflosigkeit, angesichts der gelebten Distanz zu den Unterstützer*innen.

Als Fundraiser*innen sollten wir lernen, wie Spender*innen zu denken, zu fühlen und zu handeln: Am einfachsten geht das, indem wir selber spenden. Aber nicht zwanghaft-freiwillig an die eigene NPO, sondern an verschiedene NPOs, mal mehr, mal weniger, ganz nach unseren Möglichkeiten und nach Gefühl. Und dann müssen wir uns selber beobachten, ob wir unseren eigenen idealtypischen Schubladen entsprechen.

Spender*innen sind keine Klischees aus Lehrbüchern und schlauen Vorträgen, sondern Menschen wie wir. Genau so unberechenbar, unbeständig und vielfältig in ihrem Verhalten. Wer darauf mit konkurrierenden Fundraising-Abteilungen innerhalb einer Organisation oder strengem Schema-F-Denken reagiert, macht die Unterstützer*innen nicht glücklich. Welche Spende kam über welches Fundraising-Instrument? Welche Spender*innen „gehören“ welcher Abteilung? Wer solchen Wettbewerb in seiner Organisation zulässt oder befördert, macht etwas grundlegend falsch.

Eine Kernkompetenz von Fundraiser*innen muss es sein, sich für die Spender*innen der NPO zu interessieren und auf unterschiedlichen Kanälen mit Ihnen in Kontakt zu kommen. Nur so wächst das Wissen für die Einzigartigkeit der eigenen NPO und ihre Rolle im Förderspektrum der Unterstützer*innen. Diese Arbeit kann uns kein “Persona”-Schema und keine Datenanalyse abnehmen.


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