Geschlechtergerechte Sprache im Fundraising
“Aus sprachlichen Gründen haben wir im Buch das generische Maskulinum verwendet. Selbstverständlich sind alle Menschen damit angesprochen.” So oder so ähnlich liest man es im Impressum unzähliger Sach- und Fachbücher. Dadurch wird schon eines klar: Das generische Maskulinum ist eine Gewohnheit und keine Regel. Das vorweg.
Sprache ist nicht so neutral wie wir uns das häufig vorstellen. Nehmen wir als Beispiel die folgenden Begriffe:
- Piloten
- Ingenieure
- Großspender
- Geschäftsführer
- Ärzte
- Fundraiser
- Stifter
Denkt tatsächlich jemand bei diesen Bezeichnungen und Berufen – alle in der Mehrzahl geschrieben – nicht instinktiv an Männer?
Mitgemeint ist wie Mitleid. Es verändert nichts. Erst Handeln wirkt.
Das Mitdenken anderer Geschlechter klappt nicht, davon bin ich überzeugt. Frauen oder Menschen, die sich nicht als Frau oder Mann definieren, können zwar „mitgemeint“ sein, aber die Sprache zementiert in der Vorstellung, in den Köpfen, das maskuline Weltbild.
Diese Erkenntnis ist alles andere als neu. In der Jugendumweltbewegung, Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, war es gang und gäbe, grundsätzlich die weibliche Form mitzuschreiben. Das sogenannte Binnen-I war allgegenwärtig. PilotIn, StifterIn, … waren die Formen. Heute liest man diese Form nur noch selten, zuletzt vielleicht noch in der “tageszeitung – taz”.
Im Fundraising war ich 2022/2023 auf einigen Tagungen, bei denen ich zur Minderheit der Männer gehörte. Die meisten Anwesenden waren Fundraiserinnen – speziell im Bereich Großspendenfundraising. Meine Kommunikation im Bereich der Spenden und der Stiftung führe ich in geschätzt zwei Drittel der Fälle mit Frauen, also Spenderinnen und Stifterinnen. Spreche ich also von Fundraisern, Stiftern und Spendern, liege ich mit dem gedanklich erzeugten Bild von Männern in der Mehrzahl der Fälle falsch.
Als ich mit dem Schreiben meines Fachbuchs “Fundraising-Coach” anfing, war klar, dass ich auf keinen Fall das generische Maskulinum verwenden möchte. Ich habe konsequent darauf verzichtet, durch das generische Maskulinum nicht-männliche Personen „mitzumeinen“. Das war nicht immer ganz einfach und am Anfang musste ich die Frage beantworten, welche Schreibweise ich benutzen möchte.
Von Doppelpunkten und anderen Zeichen
Wenn wir gegenderte Texte lesen, stoßen wir auf einige Formen, die im Wettstreit zueinander stehen. Gängige Formen sind der Doppelpunkt (Pilot:in), der einfache Punkt (Pilot.in), der Tiefstrich (Pilot_in) und das Sternchen (Pilot*in). Neben geschmacklichen Aspekten gibt es sachliche Kriterien, die einem helfen können, die passende Form zu finden.
- Verständlichkeit für Sehbehinderte: Menschen mit Sehbehinderung nutzen häufig Text-zu-Sprache-Ausgaben, lassen sich also Texte maschinell vorlesen. Es gibt nun unterschiedliche Informationen, welche Programme mit welchen Zeichen am besten zurecht kommen, diese einwandfrei erkennen. Im Idealfall wird der Text mit einer kleinen sprachlichen Leerstelle (Glottisschlag – wie in “Theater” oder “vereisen”) gesprochen. Das in der geschriebenen Sprache praktisch unbenutzte Sternchen (*) scheint hier am geeignetsten zu sein. Er ist auch optisch leicht erkennbar. Doppelpunkt und Punkt sind häufig benutzte Satzzeichen, werden in von Vorleseprogrammen mit relativ langer Pause gelesen. Der deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband lehnt daher beispielsweise den Doppelpunkt ab (https://www.dbsv.org/gendern.html#barrierefreiheit).
- Verständlichkeit für Menschen, denen (deutsches) Lesen schwer fällt: Menschen mit einer Leseschwäche oder Menschen mit anderer Muttersprache tun sich mit dem Erkennen von Punkt oder Doppelpunkt als Nicht-Satzzeichen eventuell schwer. Das finde ich ein schlüssiges Argument gegen diese Formen, obwohl mir persönlich der Doppelpunkt sehr zusagt.
- Lesefluss und Optik: Das für den Doppelpunkt und noch mehr für den Punkt vorgebrachte Argument ist, dass der Fließtext mit diesen Zeichen optisch am wenigsten eingeschränkt ist. Das Sternchen fällt sofort auf und führt damit leichter zur Irritation und Ablehnung. Andere argumentieren, dass das Sternchen als Symbol für die Vielfalt der Geschlechter steht (Die moderne Biologie ist da weiter als unser altes Schulwissen).
Im “Fundraising-Coach” hatte ich mich zu folgendem Vorgehen entschieden:
- Wenn ich gendere, dann nutze ich das Sternchen (Spender*innen) als Form. Das ist am klarsten erkennbare Sonderform und führt bei sehr vielen auch im gedanklichen (stummen) Lesen zu einer kurzen Sprechpause.
- Gerne nutzte ich auch die Doppelform, spreche also von Spenderinnen und Spendern. Das darf nicht zu häufig geschehen, denn sonst ist der Sprachfluss zu holprig und es klingt nach einem Behördentext.
- Die neutrale Form kann in manchen Kontexten ganz sinnvoll sein, also zum Beispiel von Lesenden oder Spendenden sprechen.
- Formen wie „Menschen, die gerne spenden“ können sogar etwas mehr sprachliche Klarheit geben, als jemanden pauschal als Spenderin oder Spender zu etikettieren. Es gibt gute Gründe, einfach auch einmal geschlechtsmarkierende Formulierung zu vermeiden.
- Und zuletzt ist auch eine wechselnde Form möglich, zum Beispiel von Stifterinnen und Spendern sprechen, gerade auch dann, wenn die weibliche Form normalerweise nicht „mitgedacht“ wird.
Das Abwechseln der Formen macht einen Text etwas lebendiger und fordert sprachlich heraus. Ein gut gegenderter Text bleibt völlig unauffällig und schafft es, auf Sonderzeichen weitgehend zu verzichten.
Kommunikation mit Menschen, die unsere Arbeit unterstützen
In meinem Buch gebe ich die Empfehlung, zielgruppenorientiert zu schreiben. Ich möchte die Menschen, zu denen ich schreibe, erreichen und nicht mit meinen Vorstellungen missionieren. Einerseits steht mir das nicht zu und zum anderen geriete meine eigentliche Botschaft damit in den Hintergrund. Als jemand, der gerne geschlechtergerecht schreibt, werde ich mich also weitgehend auf neutrale Formulierungen beschränken oder beide Geschlechter nennen. Anders sähe es natürlich in einer Organisation aus, in der ein gewisser Konsens zur Nutzung einer geschlechtergerechten Sprache getroffen wurde.
Wenn ich also um einen Rat gebeten werde, würde ich folgendes Vorgehen in der Kommunikation mit Unterstützer*innen vorschlagen:
- Verzicht auf geschlechtsmarkierende Formulierungen
- Beide Geschlechtsformen ergänzend (männlich und weiblich – also ungegendert) verwenden (Stifterinnen und Stifter)
- Eine geschlechtsneutrale Form finden
Wichtig scheint mir, dass man sich in seiner Organisation auf einen Kommunikationsstil nach außen einigt. Ein zentrales Kriterium beim Verzicht auf das generische Maskulinum muss dabei die Verständlichkeit und Akzeptanz bei den Leserinnen und Lesern sein. Denn sonst leider der Erfolg unserer Kommunikation. Das macht Mühe – lohnt aber!
Bilder und Veranstaltungen
Die Sichtbarkeit von Menschen aller Geschlechter ist kein rein sprachliches Thema.
- Bildkommunikation: Zeigen wir in unseren Prospekten, Mailings und Internetseiten eher Menschen, die wir als Mann oder als Frau wahrnehmen? Gibt es dafür sachliche Gründe oder liegt es in der Vorliebe der Fotografierenden? Wo zementieren wir Stereotype, die wir vielleicht an anderer Stelle ablehnen oder bekämpfen?
- Veranstaltungen: Wie ist das Verhältnis von Männern und Frauen bei Diskussionsveranstaltungen oder bei Vorträgen und Seminaren? Lässt sich ein ausgewogenes Verhältnis darstellen? Es ist durchaus nicht immer so, dass es nur Männer gibt, die etwas zu sagen haben. Frauen sind oft nur “unsichtbarer”.
- Grußworte und Testimonials: Wer spricht für unser Anliegen? Werden wir als männliche oder weibliche Organisation wahrgenommen?
Wer das Thema Geschlechtergerechtigkeit angehen will, kommt also um eine umfassendere Betrachtung nicht herum.
Beispiel Obdachlosigkeit: In der Öffentlichkeit und auf Fotos sprechen wir von Obdach- oder Wohnungslosen. Damit verbinden wir fast ausschließlich Männer, oft ungepflegt und mit Rauschebart. Sie prägen unser Bild von Obdachlosigkeit. Damit fallen die wohnungs- oder obdachlosen Frauen "unter den Tisch", was ein großes Problem beim Wahrnehmen und dem Umgang mit weiblicher Wohnungslosigkeit ist, die sich in mancherlei Hinsicht anders darstellt und andere Lösungen braucht.
Dynamik
Sprache ist und war schon immer dynamisch. Wortwahl, Formulierungen, Grammatik und Orthographie (oder Orthografie?) unterliegen historisch betrachtet permanentem Wandel. Schon unsere Großeltern und Eltern schrieben anders als wir oder unsere Kinder. Schiller, Heine und Goethe kämen durch kein Grundschuldiktat ohne eine Fülle von Rot-Markierungen. Ich empfehle ein entspanntes Verhältnis zu Sprachformen.
Angesichts der Dominanz männlich geprägter Sichtweisen und Lebensentwürfe ist gendern ein nicht zu unterschätzender Baustein auf dem Weg zu einer vielfältigeren Welt, die sich vom maskulin geprägten Idealbild löst.
PS:
Im Eingangskapitel meines Buches „Fundraising-Coach“ schreibe ich einige Zeilen, warum ich mich fürs Gendern mit Sternchen entschieden habe. Bisher habe ich von niemandem eine Rückmeldung – weder positiv noch negativ – zu diesem Thema erhalten. In der Praxis wird wohl vieles entspannter gesehen als in Online-Diskussionen.
Literatur und Links:
- Digitalcourage: Leitfaden für eine geschlechtergerechte Sprache. https://digitalcourage.de/feminismus/leitfaden-fuer-eine-gendergerechte-sprache
- Olderdissen, Christine: Gender-leicht. Wie Sprache für alle elegant gelingt. Duden Verlag Berlin, 2021.
- Pusch, Luise F.: Das Deutsch als Männersprache. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main. 14. Auflage 2015
- Sprache und Gendern – eine Website mit Aktuellem aus Wissenschaft und Forschung zu Sprache und Geschlecht: https://www.sprache-und-gendern.de/
- Genderleicht – Tipps zum Schreiben, Sprechen und Fotografieren: https://www.sprache-und-gendern.de/
Mein gesammeltes Fundraising-Wissen findest Du im Fachbuch “Fundraising-Coach”. Es ist der umfassende Praxisratgeber, um systematisch und erfolgreich Spenden zu werben – erhältlich hier in meinem kleinen Shop oder über jede Buchhandlung bestellbar. (ISBN 978-3-9824306-0-7)
Lieber Kai,
gut dass Du es nochmals als Thema aufmachst. Ich habe es wohl gelesen und (leider) als selbstverständlich errachtet, was es natürlich nicht ist. Ich ärgere und kommentiere, wenn das Gegenteil der Fall ist. Meine Tochter (15) ist davon jedefalls schon ziemlich abgenervt. Aber Sprache formt das Denken und Handeln!