Blick auf einen See mit Berg rechts.

Wir sollten nicht nach Spendern suchen

Wir suchen im Fundraising nach Spenderinnen und Spendern. Klar, was denn sonst! Und dabei suchen wir anhand mehr oder weniger ausgefeilter sozio-demografischen Kriterien nach Menschen, die in der Fachsprache als spendenaffin bezeichnet werden. Menschen also, die gewohnt sind zu spenden und dies auch mehr oder weniger gern und häufig tun. Diese ominöse Gruppe spendenaffiner Menschen umfasst, je nach Erhebung, etwa 45 % der Bevölkerung. Die anderen 55 % spenden dementsprechend nicht oder nur sehr selten, weil sie entweder nicht können oder nicht wollen. Fundraising heißt also meist, möglichst die 45 % der Spendenaffinen anzusprechen. Wir hoffen, die eigene Organisation im Spenden-Portfolio dieser Menschen zu platzieren.

Zur Weihnachtszeit erhalte ich viele Spendenbriefe, die versuchen, mit kleinen Beilagen (winzige und unbrauchbare Kalender, Adventskalender auf dem grafischen Niveau von 3-Jährigen, einfache Weihnachtsklappkarten etc.), meine Spendengunst zu erlangen. Das erinnert mich etwas an Messebesuche. Auf Messen gibt es die Menschen, die große Tüten bei sich tragen und an jedem Stand nach Gratismustern und Give-aways Ausschau halten („Bitte zwei, für die Kinder!“). Pflichtschuldig sehen sie sich manchmal noch die Exponate am Stand an. Doch im Wesentlichen möchten sie nicht vom Team am Stand angesprochen werden. Anders verhalten sich tatsächlich Interessierte. Ihr Fokus gilt den ausgestellten Produkten, auf ihre Fragen erwarten sie kompetente Antworten, sie suchen den persönlichen Kontakt. Keine Firma hat gesteigertes Interesse an den Visitenkarten der reinen Give-away-Interessierten.

Problem sind Menschen, die schnell auf Bitten reagieren

Wenn wir nach Personen suchen, die leicht auf Spendenbitten reagieren, haben wir ein Problem: Diese Menschen spenden meist vielen Organisationen, gerne mal 20 bis 30 pro Jahr. Und sie scheinen gerne spontan zu geben, positiv auf Spendenbriefe zu reagieren. Das Problem liegt nun auf mehreren Ebenen:

  • Wer sehr vielen Organisationen gibt, nach dem Gießkannen-Prinzip spendet, gibt aufgrund begrenzter Ressourcen meist kleinere Beträge.
  • Die Identifikation mit den Themen der Organisationen ist oberflächlich und meist auf den Austausch Spendenbitte und Spende beschränkt.
  • Ein sogenanntes Upgrade, also das Begeistern für eine intensivere Förderung (Dauerförderung, höherer Beträge, Nachlass), ist wenig wahrscheinlich, da unsere eigene Organisation nur eine von vielen unterstützten ist.
  • Die Beständigkeit der Förderbeziehung ist unsicher, da die Zuwendung bei spontan-gebenden Personen durch psychologische Reiz-Reaktions-Muster gesteuert ist und nicht inhaltlich basiert aufgrund des eigenen Wertesystems. Oft geben nur 40 Prozent der aufwändig geworbenen Menschen eine zweite oder dritte Spende.

Unsere Organisation konnte nur entstehen, weil es Menschen gab (oder gibt), die für dieses Anliegen so brannten, dass sie etwas verändern wollten. Uns sie beließen es nicht beim Wollen, sondern kamen ins Tun, gründeten den Verein etc. Ihr Fokus lag nicht auf 20 oder 30 Vereinen, sondern im Wesentlichen auf diesem einen.

Das Idealbild aus Organisationssicht für Fundraising ist, dass wir …

  • Menschen finden, die für unser Anliegen brennen,
  • unser Anliegen so vermitteln, dass es uns gelingt, neue Menschen mit unserem Thema nachhaltig zu infizieren.

Das Pareto-Prinzip zeigt uns die Verteilung der Spendeneinnahmen auf die Spendenden. Vereinfacht gesagt sehen wir oft, dass etwa 80 % der Spendenden für 20 % der Spendeneinnahmen verantwortlich sind und im Gegenzug 80 % der Spenden von nur 20 % der spendenden Personen stammen. Eine wichtige Aufgabe im Fundraising ist daher, den Anteil dieser fokussierten – und großzügigen – 20 % stabil zu halten oder auszubauen. Doch reicht als entscheidendes Merkmal die Spendenaffinität? Sind das nicht vorwiegend Menschen, die hoch-identifiziert mit unserem Thema sind?

Im Großspenden-Fundraising wird häufig die LAI-Formel erwähnt und genutzt. Die Buchstaben stehen dabei für „Linkage“ (Verbindung), „Ability“ (Möglichkeit) und „Interest“ (Interesse). Mit Kennziffern wird dabei versucht, abzubilden, wie die Verbindung der betrachteten Person in Bezug auf die NGO ist, wie die finanziellen Möglichkeiten aussehen und welche inhaltlichen Interessen bestehen. Dabei wird immer betont, dass das „A“, die „Ability“ (finanzielle Möglichkeit), der schwächste der drei Indikatoren ist, um die Spendenwahrscheinlichkeit abzubilden.

Natürlich ist diese Darstellung in der Summe überzeichnet und schwarz-weiß gezeichnet. Doch vielleicht hilft diese Kontrastierung, dass wir uns im Fundraising von der Geldfixierung lösen und uns mehr als Botschafter*in unserer gemeinnützigen Organisation verstehen.

Wer eine dauerhafte Beziehung will, sucht nicht in der Disko

Je mehr Unterstützung wir von Menschen bekommen, die nicht aus Pflicht, schlechtem Gewissen oder psychologischem Druck heraus spenden oder anderweitig unterstützen, desto stabiler und gesünder ist unsere Organisation. Das austauschbare Massenmailing mit Aufklebern, Kalendern etc. bringt Einmalspenden, schafft aber keine Beziehung.

Oft heißt es, der Spendenkuchen wäre fix oder schrumpft sogar und es ginge nur noch darum, sich auf Kosten anderer Organisationen ein möglichst großes Stück zu sichern. Das ist eine zutiefst pessimistische und zerstörerische Haltung, die wir meiden sollten. Warum? Eine zentrale Aufgabe von uns Fundraisenden ist es, neue Menschen für die Unterstützung des gemeinnützigen Sektors zu begeistern.

Gesellschaftlich gesehen, geht es im Fundraising nur indirekt um Geld. Es geht um das Bewusstsein, dass es nicht den allmächtigen Staat gibt – und geben darf – , der sich um alles kümmert. Fundraising weckt das Bewusstsein für die organisierte Zivilgesellschaft. Ohne den gemeinnützigen Sektor ginge und gäbe es ganz viel in Sport, Kultur, Sozialem oder Ökologie nicht. Wesentliche Impulse an den Staat gingen schon immer von engagierten Menschen aus. Und wer dies als akzeptiert, wird sich überlegen, wo die eigene Rolle liegen kann: Kann und will ich mich selbst engagieren oder ermögliche ich durch meine finanzielle oder ideelle Unterstützung die mir wichtigen Anliegen.

Die Freude am Verändern ist wichtiger als die Freude am Geben

„Fundraising is the gentle art to teach the joy of giving“ lautet das berühmte Zitat des US-Fundraisers Henry A. Rosso. Doch die Freude am Geben zu lehren, ist definitiv zu wenig. Es muss darum gehen, die Freude an der Veränderung, die Freude am Helfen, die Freude am Engagement zu lehren. Das scheinen mir die nachhaltigen Werte zu sein, die dann Basis für eine stabile Beziehung zwischen gemeinnützigen Organisationen und Fördernden sind.

Fundraising lehrt, dass wir als Individuum nicht hilflos dem Staat ausgeliefert sind, dass wir mehr sind als bürokratische und steuerzahlende Verfügungsmasse. Jede Person, die wir über Fundraising für die Unterstützung des Anliegens einer NPO gewinnen und begeistern können, verlässt das Stadium des bloßen Meckerns, das Milieu der virtuellen Social-Media-Stammtische.

Vielleicht wäre das auch ein konstruktiver Ansatz für den „Giving Tuesday“, raus aus dem Hamsterrad des Wettstreits mit hunderten anderen Organisationen auf denselben Spendenplattformen. An diesem Tag könnten wir zeigen, was die Zivilgesellschaft mit verlässlicher (!) Spenden-Unterstützung kann.

Tipps zum Weiterdenken – denn ich habe keine fertigen Rezepte:

  • Wir sollten es vermeiden, Menschen anzuziehen, die nicht an unseren Themen, sondern an Aufklebern, Armbändchen etc. interessiert sind.
  • Wir müssen neue Ansätze im Fundraising finden, mit denen wir Menschen begeistern, mit unserem “Virus” infizieren können.
  • Es hilft, die inhaltlich stärksten Themen unserer NPO für das Gewinnen neuer Unterstützer:innen zu perfektionieren und vom oft sichtbaren Themenhopping wegkommen.
  • Fundraising ist Weltverbesserung. Und die geschieht immer auch in Opposition oder kritischer Begleitung staatlicher Instanzen. Wir sollten in unserer Kommunikation die Macht der Individuen (zum Beispiel der Mitarbeitenden) zeigen.
  • Unsere Kommunikation muss zeigen, dass unsere Organisation aus engagierten Personen besteht. Sie muss zeigen, dass Handeln etwas bewirkt, verändert. Und ja, Spenden ist ein Teil dieses Handelns.

Lasst uns die Hefe sein, um den Kuchen der Zivilgesellschaft ordentlich aufgehen zu lassen, anstelle uns um die letzten Krümel sogenannter spendenaffiner Personen zu streiten. Das schenkt uns den Blick der Fülle.


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