Die Menschen wollen ein Testament … und bekommen eine Nachlassbroschüre
Sich mit dem Thema Nachlass und Testament zu befassen ist ein höchstpersönlicher Moment. Und die Vorstellung, alle Menschen aus der Hausliste mit einer entsprechenden Bitte und Broschüre anzuschreiben, dürfte bei den meisten Fundraiser*innen für Kopfschütteln sorgen. Nachlass-Fundraising ist sicher der am wenigsten drängende Fundraising-Ansatz. Es ist derjenige, der am ehesten als offenen Einladung verstanden werden will.
Zentral ist bei den meisten NPOs eine mehr oder weniger ausführliche Broschüre. Zentraler Punkt in der Werbung um Nachlass und Testament ist, dass Menschen überhaupt ein Testament verfassen müssen, bevor sie eine NPO darin erwähnen können. Die meisten Broschüren haben daher einen Doppelcharakter:
- Gründzüge des Erbrechtes und der Testamentsgestaltung
- Umgang der NPO mit Nachlässen und was diese bewirken
Der Umfang solcher Broschüren reicht vom Faltblatt bis zum ganzen Ordner einschließlich umfangreicher Checklisten.
Online findet man durchweg Nachlassbroschüren auf den Websites der großen und mittleren NPOs. Die juristischen Ratschläge zum Erbrecht sind weitgehend identisch. Anders sieht es naturgemäß beim inhaltlichen Teil aus. Hier wird man sich mit seiner NPO klar abheben und deutlich machen müssen, warum eine testamentarische Zuwendung bei einem eine gute Entscheidung ist.
Broschüre und Gesprächsverläufe
Wenn Menschen nach der Zusendung einer Nachlassbroschüre um ein Gespräch zum Thema Nachlass und Testament bitten, stehen selten knifflige juristische Fragen auf der Agenda. Die wären eh Juristen vorbehalten und entziehen sich unserer Kompetenz. Meist sind es recht einfache Fragen, ganz oft ist zum Beispiel großes Unwissen vorhanden, dass es einen Unterschied zwischen Erbe und Vermächtnis gibt. Es gab früher viele Gespräche, bei denen ich mir irgendwann dachte, dass das, was ich erzähle, alles in der Broschüre stehen würde.
In anderen Gesprächen schien formal alles klar und wir redeten eine Stunde lang über Themen, die vor dem Schreiben des Testaments stehen. Die Menschen fragten sich und mich zum Beispiel:
- „Wie kann ich meinen Nachlass gerecht verteilen? Ich mag niemanden übersehen, nicht dass schlecht über mich geredet wird.“
- „Ich möchte niemanden mit dem Erbe meiner Wohnung belasten, das macht so viel Arbeit.“
- „Wie kann ich verhindern, dass meine ganzen Möbel, einfach alles, nach meinem Tod einfach weggeworfen wird und in der großen Mulde vor dem Haus landet?“
- „Ich will, dass meine Mieter nach meinem Tod nicht auf der Straße stehen. Wie kann ich das sicherstellen?“
Andere Menschen bestellen im Laufe von 10 Jahren gleich mehrfach die – im Kern gleiche – Nachlassbroschüre.
Aus diesen Erlebnissen ergeben sich nun vier Erfahrungen:
- Viele Menschen kommen mit schriftlichen Materialien nicht gut zurecht. Umfangreiche Unterlagen lassen das Thema Testament komplex und schwierig erscheinen.
- Broschüren und Sachinformationen ersetzen nicht das zuhörende Gespräch. Auf dem Weg zum Testament stehen Fragen und Ängste, die mit den Inhalten unserer Materialien nicht zu tun haben und für die ein Gegenüber zum Besprechen gesucht wird.
- Das Verfassen des Testaments wird oft als schwere Aufgabe, als Bürde empfunden und sehr lange rausgeschoben. Unsere Materialien helfen nur einem Teil der Menschen.
- Die fachlichen Fragen, welche gestellt werden, sind meist nur das elementare 1 x 1 des Erbrechts (Erbe, Vermächtnis, Nachlassverwaltung, Testamentsverwahrung, Erbschaftssteuer).
Für einen – vermutlich bedeutenden – Teil der Menschen, die eine Nachlassbroschüre bestellen, ist sie nicht die Lösung ihres Problems. Sie bietet ihnen keinen praktischen Nutzen. Es hilft dann auch nichts, wenn die Nachlass-Broschüre mit jeder Neuauflage detaillierter und bunter wird.
Die Menschen wollen keinen Grundkurs Erbrecht absolvieren und sich durch 80 Seiten dicke Broschüren arbeiten. Was sie wollen, ist ein geschriebenes Testament zu haben.
Menschen, die ein Testament verfassen wollen, haben viele Fragen und sind sich oft unsicher. In dieser Situation suchen sie eine Person, der sie vertrauen und in Ruhe all ihre Fragen stellen können. Im persönlichen Umfeld finden sie diese Person nicht. Wer als Fundraiser*in solche Gespräche führt, wird oft mehr erfahren als Freunde oder Familienangehörige.
Wichtiger als hierarchischer Status in der NPO ist für Interessierte, dass jemand für sie Zeit hat und gleichzeitig die nötige fachliche Kompetenz. Zentral bei Nachlassgesprächen sind aus meiner Erfahrung die folgenden Punkte:
- Zuhören können: Wertungsfrei zuhören, Bedürfnisse und Befürchtungen wahrnehmen, Fragen beantworten und nicht überreden wollen, sind essenziell. Wer Nachlassgespräche führt, muss ein Verständnis für ältere Menschen und unterschiedliche Biografien haben. Man muss sich für sein Gegenüber interessieren und wertschätzend neugierig sein. Das Leben des Gegenübers ist fundamental anders als das eigene. Das darf einen nicht irritieren.
- Gesprächsziel: Das Ziel des Gesprächs wird durch den Besuch festgelegt. Die Menschen kommen meist mit konkreten Fragen und gehen, wenn diese beantwortet wurden. Als Fundraiser*in achten wir nur darauf, dass der abgesteckte zeitliche Rahmen eingehalten wird und es ggf. einen Folgetermin gibt.
Eine gute Nachlassbroschüre ist für viele Menschen erst einmal die Botschaft, dass in der NPO ein Mensch sitzt, der Ansprechpartner*in für alle Fragen rund um dieses belastende Thema ist. Die schriftlichen Materialien der NPO müssen einladend sein und dürfen nicht durch ihren Umfang abschreckend wirken.
Als Fundraiser*in im Bereich Nachlass und Testament zu arbeiten, bedeutet, die praktischen und emotionalen Stolpersteine auf dem Weg zum Testament wegräumen zu helfen.