Giving Tuesday – schon mal davon gehört?

Am 28. November 2023 soll der diesjährige „Giving Tuesday“ in Deutschland stattfinden. „Der ‚was?‘…“ werden jetzt sicher einige Leser*innen des Blogs sich fragen. Und damit sind wir bereits mitten in der Diskussion um diesen Tag.

Der „Giving Tuesday“ wurde 2012 von der New Yorker Nonprofit-Organisation 92nd Street Y und dem United Nations Foundation ins Leben gerufen. Die Idee war es, einen Tag zu schaffen, der dem Konsumrausch des „Black Friday“ und des „Cyber Monday“ entgegenwirkt und die Aufmerksamkeit auf das Geben und die Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen lenkt. Er wird jährlicher am Tag nach dem Thanksgiving-Feiertag in den USA begangen. Der Giving Tuesday hat sich in den letzten Jahren zu einer weltweiten Bewegung entwickelt und viele Organisationen und Unternehmen beteiligen sich daran, indem sie Spenden sammeln, Aufklärungskampagnen starten oder spezielle Aktionen durchführen.

Auch in Deutschland wird versucht, den Giving Tuesday als Tag für Spenden und gemeinnütziges Engagement zu entwickeln. 2022 war er am ersten Dienstag im Dezember (> zur Website), dieses Jahr soll er mit dem 28.11.23 am letzten Dienstag im November stattfinden.

Als Fundraiser bin ich natürlich froh über jede Aktion, welche die Spendenbereitschaft im Allgemeinen und für die von mir beworbene Organisation im Speziellen erhöht. Trotzdem werde ich nicht so richtig glücklich damit, wie er konkret im vergangenen Jahr ablief.

8 Punkte für einen gelingenden „Giving Tuesday“

Da derzeit die Planungen für den diesjährigen Tag offenbar anlaufen – eine E-Mail des Deutschen Fundraising-Verbandes mit einer Umfrage dazu am 2.2.23 zeigt das – , sind hier meine Gedanken zu diesem Tag:

1) Adaptieren statt kopieren

Die Idee des „Giving Tuesday“ ist in den USA vor dem Hintergrund des „Black Friday“ und des „Cyber Monday“ geboren. Wer eine Idee aus einem anderen Kulturraum kopieren möchte, muss den Kern der Idee erkennen und für den eigenen Bereich übertragen. Kopieren funktioniert selten. Die Grundidee wurde einfach übersetzt und bleibt mehr als schwammig. Das hat natürlich den Vorteil, dass man um das Messen von Erfolg oder Misserfolg herumkommt.

2) Hauptspendenzeit meiden

Im November und Dezember nochmals zu werben ist finanziell, organisatorisch und inhaltlich zweifelhaft. In den meisten spendensammelnden Organisationen sind die Monate November und Dezember die spendenintensivste Zeit des Jahres. Hier werden die auflagenstärksten Mailings verschickt und auch die Organisationen, welche nur ein- oder zweimal jährlich werben, verschicken dann ihre Spendenbitte.

Und auf Seiten der Spendenden wird in dieser Zeit mehr gegeben als in allen anderen Monaten. Die Briefkästen quellen schier über vor Spendenbitten, die Medien nehmen diese Bitt-Flut jährlich gerne als Aufhänger für positive wie kritische Berichte übers Fundraising. Warum auf hier noch einen Draufsetzen? Wenn man diese Zeit nutzen will, dann muss das mit mehr Überlegung und überzeugender geschehen.

3) Ziel und Zielgruppe klären

Worum geht es denn beim Giving Tuesday? Sollen Spenden eingeworben werden? Soll die „Kultur des Gebens“, um einen Claim des Deutschen Fundraising Verbandes zu nutzen, gestärkt werden? Sollen bisher noch nicht spendende Teile der Bevölkerung überzeugt und begeistert werden?
Aktuell werden die bekannten Zielgruppen, Hauslisten und Unterstützergruppen durch die Organisationen angesprochen. Damit findet vermutlich zu einem hohen Anteil einfach eine Verschiebung von Spenden statt, ein Fundraising-Instrument (eben die Werbung zum Giving Tuesday) kannibalisiert ein anderes Instrument, mit welchem ansonsten oder parallel geworben wird.

4) Spendenplattform

Eine der Dinge, die sich meinem Team und mir nicht erschlossen, war der Launch einer neuen Spendenplattform über das „Haus des Stiftens“. Rund 1.700 Einträge waren für den Giving Tuesday wohl auf der Plattform gemacht worden. Dazu mussten die Organisationen sich anmelden und das Angebot einstellen. In unserem Fall nahmen wir dazu ein vorhandenes Angebot, welches traditionell gut bei Spenderinnen angenommen wird und das wir auch auf der Website bewerben. Aber glücklich waren wir damit nicht, gestört haben uns einige Punkte:

  • Noch eine Plattform: Gefühlt kommt alle Paar Monate eine neue Plattform mit dem Angebot, seine Spendenvorhaben einzustellen und zu bewerben. Es gibt aber ausreichend viele und gute Spendenplattformen in Deutschland. Jede neue Plattform erhöht die Unübersichtlichkeit für die Organisationen wie für die Spendenden.
  • Datentransfer: Digitales Spenden sollte einfach für Spendende und NPOs sein. Auf NPO-Seite stecken wir viel Mühe in automatisierte Prozesse, dass Online-Spenden möglichst nahtlos in die Spenderdatenbank fließen. Die dazu notwendigen Schnittstellen sind komplex und aufwendig zu programmieren. Bei einer nur einmalig genutzten Plattform lohnt sich das nicht.
  • Werbung: Bei 1700 eingestellten Angeboten ist es für zufällige Besucherinnen der Plattform – trotz der vorhandenen (und nicht sehr gut funktionierenden) – Suche letztendlich dem Zufall überlassen, welches Angebot auf dem Bildschirm erscheint. Als Organisation muss ich, wie bei allen Spendenplattformen, mein Angebot aktiv bewerben, damit es gefunden und vielleicht bespendet wird. Und dann taucht es in einer Flut anderer Angebote auf, welche die Aufmerksamkeit der Leute ablenken. Für eine NPO mit eigenem Online-Auftritt ist das unwirtschaftlich. Wenn man eh die Werbung für das eigene Angebot leisten muss, warum sollte ich dann auf eine „fremde“ Plattform verlinken? Noch dazu, dass man dann die ggf. eigens programmierte Schnittstelle nicht nutzen kann. Das ergibt eigentlich nur für NPOs Sinn, die weder Website noch Spendenformular haben.
    Der Fokus auf diese Plattform ist aus NPO-Sicht kontraproduktiv. Wenn es eine zentrale Plattform gibt, dann sollte dort eine direkte Verlinkung auf NPO-Websites der Standard sein.
  • Zahlwege: Dass die Plattform zumindest am Anfang nur die „Sofortüberweisung“ als Spendenweg kannte, war eine echte Hürde. In der Praxis ist das der am wenigsten genutzte Spendenkanal.

5) Botschaft klären

Worum soll es bei diesem „Spenden-Aktionstag“ gehen? Soll er

  • Spenden als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements bewerben?
  • Menschen zur Spende motivieren, die Spenden gegenüber kritisch eingestellt sind?
  • Nicht-Spender*innen zu Spenden bewegen?
  • Menschen zwischen 30 und 50 Jahren zur (vielleicht ersten) Spende bewegen?
  • die Vielfalt der spendensammelnden Organisationen vor Ort darstellen?
  • Bestandsspender*innen zu einer weiteren Spende motivieren?
  • Medien auf das Thema Spenden sensibilisieren?

Spenden wird irgendwie als Selbstzweck dargestellt. Aber wir werben nicht um Spenden, wir werben um konkrete Unterstützung für bedürftige Menschen, für schützenswerte Natur, für notleidende Tiere, für talentierte Musiker*innen etc. Um für den Akt der Spende als Selbstzweck zu werben, braucht es eine klare und nicht-akademisch-verständliche Botschaft dahinter.

6) Aufhänger sinnvoll suchen

Ein breit aufgestellter Spenden-Aktionstag braucht aus meiner Sicht einen Namen, der wirbt, ohne durch seinen Namen abzuschrecken. „Giving Tuesday“ wird, da bin ich überzeugt, viele Menschen alleine durch seinen Namen nicht erreichen. Und die Koppelung an den „Black Friday“ oder den „Cyber Monday“ ist künstlich. Warum nicht einen gesellschaftlich bekannten und anerkannten Tag als Aufhänger nehmen, so wie der jährliche „Tag der Stiftungen“, der am 1. Oktober stattfindet? Für kirchennahe Organisationen wäre das vielleicht Erntedank, für andere der 1. Mai oder Muttertag. Wie auch immer, es braucht einen guten Aufhänger – der bitte nicht in den spendenintensivsten Monaten liegt. Würde er neu erfunden werden, hieße er sicher anders. Die Tatsache, dass der Giving Tuesday auch in anderen Ländern beworben wird, ist für die Werbung hierzulande irrelevant. Es fehlt die einigende Botschaft, welche hierzulande Begeisterung fürs Spenden schaffen könnte.

7) Raus aus der Konsumlogik

Die gewollte Nähe des Giving Tuesday zum Black Friday befeuert letztendlich die Konsumlogik und setzt das Spenden in diese Tradition. Spenden wird im Schlepptau der Schnäppchen-Ideologie beworben. Das ist das genaue Gegenteil dessen, wofür ein großer Teil der NPOs mit ihrer Arbeit steht. Und deswegen braucht es dafür auch Partner, welche – anders als Amazon – für eine Verankerung in der Mitte der Gesellschaft stehen und glaubwürdig für das Gemeinwohl eintreten können.

8) Nutzen klären

Damit ein bundesweiter Spenden-Aktionstag zum Erfolg wird, muss er Nutzen für alle Beteiligten bieten:

  • Deutscher Fundraising-Verband etc.: Wo stärkt das die Rolle des DFV und anderer möglicher Organisatoren als Interessensvertretung für Fundraising?
  • NPOs: Was gewinnt die NPO, was sie nicht durch ähnliche Werbung auch – konkurrenzfrei – erreichen könnte? Wo liegt der Mehrwert? Was leistet der Aktionstag, was die eigene Werbung nicht schafft?
  • Kleine NPOs: Wie gewinne man, als kleine und oft lokal oder regional aktive NPO, Reichweite für Spendenwerbung fürs eigene Anliegen?
  • Medien: Wo ist die zentrale Botschaft, das Neue, das lokale Interesse, sodass man berichten würde?
  • Spendende: Wo fühle ich mich in meinem Spendenengagement gewürdigt und geben evtl. zusätzlich oder an eine bisher unbekannte Organisation?
  • Spendenkritische: Was erfahre ich Neues über NPOs und die Wirkung von Spenden? Auf welchen Kanälen erreicht mich diese Botschaft?
  • etc.

Think globally, act locally

“Think globally, act locally” ist ein alter Spruch, der vielleicht bei den Überlegungen zum bundesweiten Spenden-Aktionstag spannend sein könnte. Zivilgesellschaft beginnt vor Ort, die Spendenbereitschaft steht und fällt häufig mit der Nähe zu den NPOs und den agierenden Menschen. Ein Aktionstag, der auf lokale Aktivitäten setzt, Medienkits für lokale Pressearbeit bietet, ein simples Konzept für gemeinsames Auftreten der extrem unterschiedlichen lokalen NPOs entwickelte, könnte erfolgreich sein. Gibt es zum Beispiel innovative Sammel-Werbeformen, bei denen lokale NPOs andocken könnten, die kein Budget und keine Reichweite für Kaltadressmailings haben etc.? Hier braucht es noch viel mehr Fantasie, um aus einem aufgesetzt wirkenden „Giving Tuesday“-Strohfeuer-Tag rauszukommen.

Letztendlich sollte das Ziel sein, dass nicht die NPOs den Giving Tuesday bewerben, sondern dass der Giving Tuesday für die NPOs wirbt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert