Warum Fundraiser*innen scheitern

In der Literatur und in Fundraising-Kursen wird wenig bis überhaupt nicht darauf eingegangen, welche grundlegend unterschiedliche Arten von NPOs es gibt. Damit meine ich nicht die Diskussion, ob man für Tiere, Kinder, Wohnungslose, Kultur, Natur oder Kunst leichter Spenden bekäme. Nein, es geht in diesem Artikel um die Struktur, um das Einzugsgebiet und um Bedeutung der Fundraising-Einnahmen im Verhältnis zu den Gesamteinnahmen der NPO. Denn das sind wesentliche Faktoren in Bezug auf die interne Rolle des Fundraisings.

Der unausgesprochene Glaube daran, dass alle spendensammelnden NPOs irgendwie gleich wären, ist eine wesentliche Ursache für Enttäuschung und berufliches Scheitern von Fundraiser*innen. Und das ist nicht nur eine Frage der sogenannten “institutional readiness”.

Bei jedem Vorstellungsgespräch sollte man im Vorfeld und im Gespräch selbst klären, wo die NPO in Bezug auf Fundraising steht und ob man mit dieser Ausgangslage arbeiten kann und möchte.

Zur Illustration hier die Vielfalt, wie ich sie erlebe:

Unterscheidungskriterien von NPOs aus Fundraising-Sicht

  • Unterschied beim Spendenanteil: Von fast unsichtbar bis 100% reicht die Spanne, welchen Anteil Spenden an den Gesamt­ein­nah­men einer NPO haben. Es gibt rein spendenfinanzierte Orga­ni­­sationen, in welchen Fundraising eine hohe Bedeutung und meist auch Wertschätzung genießt. Am anderen Ende des Spek­trums erleben wir teils sehr große Organisationen, bei­spielsweise Trä­ger von Krankenhäusern oder Heimen aus Diakonie und Cari­tas. In diesen nimmt der Spendenanteil an den Gesamt­ein­nah­men oft einen verschwindend scheinenden Anteil ein, manchmal un­ter einem Prozent. In diesen NPOs haben es Fundraiser*innen oft schwer, sich mit ihrem Auftrag und Anspru­ch an Zu­sam­men­ar­beit Gehör zu verschaffen.           
    Zwischen diesen beiden Extremen gibt es NPOs in allen mögli­chen Abstufungen beim Finanzierungsmix. Und entsprechend un­ter­schiedlich sind Erfahrung im Fundraising und Stellenwert des Fundraisings innerhalb der NPO.
  • Einmaliger oder regelmäßiger Bedarf: Einzelne NPOs suchen gezielt Fundraiser*innen für eine Kampagne. Typisch ist der Fall des Neubaus eines Krankenhauses, eines Museums oder sonst einer Immobilie. Als Fundraiser*in hat man in diesem Fall meist einen konkreten Auftrag, ein Budget und ein klares Bekenntnis der Leitung der NPO, die notwendigen Maßnahmen durch­zu­füh­ren. Wenn aus einer solchen Kampagne regelmäßiges Fundrai­sing wachsen soll, ist dies nochmals eine ganz andere Heraus­for­de­rung.
    Im Idealfall dient Fundraising dazu, einen regelmäßigen Bedarf durch freiwillige Mittel abzudecken. Fundraiser*innen agieren mit einem auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten Fundraising-An­satz, wie er in diesem Buch dargestellt ist.
  • Ehrenamtliches Fundraising: Eine weitere umfangreiche Gruppe sind die ungezählten kleineren NGOs und Kirchengemeinden, in welchen Fundraising als ehrenamtliche Aufgabe angelegt ist. Die Herausforderung an Qualität und Stetigkeit des Fundraisings ist hier enorm. Erfolgreiches Fundraising wird oft durch hohen Ein­satz dominierender Persönlichkeiten über Jahre durchgeführt, al­t­ernativ durch eine verlässliche ehrenamtliche Struktur (Ar­beits­­grup­pe etc.). Wer als Fundraiser*in unter rein ehren­amt­li­chen Be­­dingungen erfolgreich sein will, benötigt besondere per­sön­­li­che Fähigkeiten.
  • Lokale bis transnationale Arbeit: Wenn ich lokal oder regional ar­beite, habe ich völlig andere Möglichkeiten und Begrenztheiten in meiner Arbeit, als im Kontext einer bundesweit oder gar inter­na­tional tätigen Organisation. Erfolgsrezepte aus der einen Ebe­ne lassen sich nur begrenzt in die andere Ebene übernehmen.
  • Anzahl der Mitarbeitenden: Bin ich alleine für Fundraising ver­ant­wortlich oder Teil ein großen Gemeinschaft? Sowohl fach­lich als auch menschlich können dies vollkommen unterschied­liche Wel­ten sein, andere Fähigkeiten erfordern, aber auch andere Mög­lich­keiten bieten.
  • Mischfinanzierte NPOs: Innerhalb der mischfinanzierten NPOs (zum Beispiel große Einrichtungen von Caritas oder Diakonie), bei welchen der Spendenanteil selten mehr als 5-10 % der Ein­nahmen ausmacht, lassen sich einige Typen unterscheiden. Diese Ty­pen sind nicht trennscharf, es können auch mehrere Merkmale pa­rallel auftreten, meist aber mit dem Fokus auf einen:
Vier Typen diakonischer Einrichtungen aus Fundraising-Sicht
Die langjährig im Fundraising erfahrenen Beraterinnen Beate Haverkamp und Wiebke Doktor haben in einer qualitativ angelegten Befragung von Vorständen und Geschäftsführer*innen diakonischer Einrichtungen vier Typen identifiziert.
Fundraising …
zur Existenzsicherung: Die Existenz der Organisation, eines Be­reiches/Projektes oder einer bestimmten Leistung ist ohne Spen­den nicht mehr möglich.
als „Sahnehäubchen“: Über die bereits finanzierte Arbeit hinaus wer­den Mittel für „Besonderes“ benötigt, zum Beispiel für Ar­beit über den Rahmen gesetzlicher Leistungskataloge hinaus. Bei­spiele sind Freizeitmaßnahmen für Bewohner*innen oder spe­zielle therapeutische Angebot.
als Anlass zur Kommunikation nach innen und außen: Interne und externe Kommunikation wird durch Fundraising-Maß­nah­men entwickelt, gestärkt, fokussiert. Die Fähigkeit des Fund­rai­sings, die inhaltlichen Ziele der NPO auf den Punkt zu bringen und zielgerichtet an potenzielle Interessenten zu vermitteln, er­gänzt oder ersetzt die klassische Presse- und Öffent­lich­keits­arbeit. Und nach innen kann Fundraising Identi­tät stiften, indem es eine inhaltliche Positionierung einfordert beziehungsweise un­aus­gesprochene Ziele verschriftlicht und damit einen Klä­rungs­prozess beginnt.
als Ausdruck der Mission: Wir werden durch Fundraising daran er­innert, dass nicht der Staat allein für das Beheben von Miss­stän­den zuständig ist, sondern dass dies in der Möglichkeit aller Men­schen liegt, ggf. sogar  deren Aufgabe ist. Das kann auf­grund religiöser oder weltlich-philosophischer Prägung be­grün­det sein.

Abschließend haben beide einen hypothetischen Typus entwickelt:
Fundraising als partizipatorischer und gesellschaft­sent­wickeln­der Prozess:
Dieses ist ein theoretisches Modell für Fundraising in refinanzierten Organisationen und mündet in der Hypothese, dass Staat und Gesellschaft gemeinsam für die Finanzierung und die Umsetzung des sozialstaatlichen Konsen­ses verantwortlich sind.

Nach: Haverkamp, Beate / Doktor, Wiebke: Bilder von Fundraising bei Vorständen und Geschäftsführer*innen diakonischer Einrichtungen – 5 Denkmodelle für Fundraising. Studie.

NPOs mit spezieller Ausprägung des Fundraisings

Als wäre diese Vielfalt nicht genug, erleben wir im Fundraising eine branchenspezifische Spezialisierung. Diese hängt mit der Ausbildung, den persönlichen Interessen und teilweise mit der ersten Fundraising-Stelle zusammen. In den folgenden Gruppen hat sich Fundraising auf eine besondere Weise spezialisiert:

  • Stiftungen: Zustiftungen, Spenden
  • Schulen, Kindergärten: Fördervereine und -kreise
  • Hochschulen: Alumni-Programme, Stipendien, Professuren
  • Kirchengemeinden: Gemeindeaufbau, Bauunterhalt
  • Diakonie und Caritas: Leistungsentgelte vs. Fundraising
  • Kultureinrichtungen: Benefit-Programme und Fundraising
  • Internationale Organisationen: Spenderreisen, Patenschaften
  • Multinationale Organisationen: internationales Fundraising
  • Sportvereine: Fundraising und Nutzen der Mitgliedschaft
  • Mitgliedsverbände: Fundraising von Orts- bis Bundesebene

Fundraising erinnert damit etwas an eine Arztausbildung. Alle haben das gleiche Studium absolviert, aber danach trennen sich die Wege im Rahmen der Facharztausbildung. So extrem ist es im Fundraising zwar nicht, aber es sind teilweise schon sehr unterschiedliche Arbeitsfelder.

Diese enormen Unterschiede zwischen den NPOs und ihrem Fundraising-Ansatz und -Verständnis bewirken immer wieder, dass Fundraiser*innen nach einem Stellenwechsel nicht mehr an den Erfolg bei ihrer vorherigen NPO anknüpfen können. Nicht jede Persönlichkeit passt zu jeder Organisation. Neben der fachlichen Kompetenz sind es eben auch personenbezogene Eigenschaften, welche über Erfolg oder Scheitern im Fundraising entscheiden können.

Es macht auch einen entscheidenden Unterschied, ob ich mich rein auf den fachlichen Kernbereich von Fundraising konzentrieren kann oder Fundraising eher als innerverbandliche Kommunikationsaufgabe angesehen wird.

Insgesamt haben wir also bei den NPOs im deutschsprachigen Raum ein weites Spektrum unterschiedlicher Anforderungen an Fundraising und damit an die beruflichen und persönlichen Fähigkeiten aller Beteiligten. Und der Umgang mit den jeweiligen Besonderheiten der NPO entscheidet häufig darüber, ob jemand in diesem Beruf erfolgreich arbeiten wird. Denn die oben skizzierten Unterschiede machen sich in entscheidenden Punkten bemerkbar:

  • Ansehen des Fundraisings in der NGO und damit verbundener Rück­halt bei der Leitung und den angrenzenden Arbeits­be­rei­chen
  • Anteil der Aufgabe, das Verständnis für Fundraising und die nö­ti­gen Abläufe in der NPO zu integrieren
  • Erwartung an die Ergebnisse im Fundraising
  • persönliche Affinität zum Thema der NPO
  • materielle Ausstattung (Software, Budget)
  • Größe des Fundraising-Teams
  • benötigte Fähigkeiten in Bezug auf  Selbstorganisation, innerverbandliches Networking, Konzeptentwicklung und Frustrationstoleranz

Diese Unterschiede bei Fundraising-Stellen und den beauftragenden Organisationen sind den Beteiligten zu wenig bewusst. Auch in Vorstellungsgesprächen werden sie selten thematisiert. Umso häufiger drehen sich aber Coaching-Gespräche um dieses Spannungsfeld.


Hurra, ein neues Fundraising-Standardwerk!
(Dr. Christoph Müllerleile)

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