Vom Beten, Betteln und Fordern zum Fundraising
Wer mich im Seminar auf Touren bringen möchte, muss nur das Wort “Bettelbrief” fallen lassen. Das ist so ein Reizwort, welches jede Mittagsmüdigkeit sofort vertreibt.
Ja, Bettelbriefe werden Spendenbriefe oft genannt, leider auch innerhalb von NPOs. Als Fundraiser*in sollten wir aber dringend dafür sorgen, dass dieses Wort endlich aus dem Wortschatz verschwindet. Das nicht nur, weil es unsere Arbeit abwertet, sondern weil es einfach der falsche Begriff ist. Daher ein kleiner Exkurs zur Entwicklung und Abgrenzung des Fundraisings von anderen Gabe-Kommunikationsformen:
Beten
Der religiöse Ansatz, etwas zu erbitten, ist das Gebet. Merkmal von Beten ist, dass mein Gegenüber sehr groß und übermächtig ist.
Vorteile – Man muss sich nicht mit anderen Menschen auseinandersetzen. – Es besteht keine Gefahr, sich eine Absage zu holen. – Gebete sind beliebig wiederholbar. – Wenn es klappt, ist es fein. Wenn nicht, haben Gott oder das Universum andere Prioritäten. – Man muss nicht über Geld sprechen oder konkret benennen, was man möchte. Gott oder das Universum wissen schon Bescheid. – Ich kann Großes und Größtes erbeten. | Nachteile – Je konkreter der Wunsch, desto unwahrscheinlicher ist nach aller Erfahrung die Erfüllung. – Wenn doch ein Gebet erfüllt wird, bleibt es praktisch immer beim einmaligen Erfolg, das Vorgehen ist nicht reproduzierbar. |
Betteln
Beim Betteln haben wir ein Gegenüber. Betteln heißt, dass ich keinen Anspruch habe. Ich unterliege der Willkür des Gebenden. Demutshaltung und Würdelosigkeit sind Merkmale des Bettelns. Die Willkür von Geben und Empfangen führt leicht zu aufdringlichem Verhalten.
Vorteile – Ich bekomme etwas, wenn ich nachdrücklich genug bettele. – Betteln ist eine bewährte und von Kindheit an gelernte Strategie, um etwas von (allmächtigen) Erwachsenen zu erhalten. – Für Gebende sind Bettelnde auch praktisch: So günstig bekommt man selten ein gutes Gewissen. | Nachteile – Betteln funktioniert am besten durch Mitleid und Penetranz. – Beim Betteln erhalten Bettelnde nur ein Almosen. Das sind meist die kleinen und kleinsten Münzen. – Betteln fehlt die Nachhaltigkeit. Ich muss immer wieder neu anfangen. – Betteln hinterlässt oft ein Gefühl, ausgenutzt zu werden. |
Fordern
Fordern setzt voraus, dass es eine Grundlage gibt, die mich zu einer Forderung berechtigt. Diese Grundlage kann rechtlicher oder moralischer Natur sein. Biblisch kennen wir die Forderung nach dem Zehnten oder die religiöse Verpflichtung, zu bestimmten Festen Opfer darzubieten. Der Klingelbeutel im Gottesdienst, die öffentliche Sammlung etc. sind Beispiele einer Forder-Kultur.
Vorteile – Relativ planbare Einnahmen. – Kein Rechtfertigungsdruck, keine Erklärungen, keine Unterwürfigkeit ist notwendig. | Nachteile – Ich erhalte nur das Geforderte, wenn ich einmal mehr haben möchte, muss ich in Verhandlungen eintreten (oder moralische oder physische Gewalt ausüben). – Als Gebender habe ich nach der Übergabe des Geforderten kein besonders gutes Gefühl, bin froh, bis zum nächsten Mal meine Ruhe zu haben. |
Bitten (= Fundraising)
Bitten bedeutet, dass ich eine Bitte formulieren muss und die meinem Gegenüber zu äußern habe. Bitten trifft auf Wünsche und tiefliegende Bedürfnisse. Beim Bitten agieren zwei Menschen im Idealfall auf Augenhöhe. Zentral ist die Freiwilligkeit, dass der Bitte auch nicht entsprochen werden kann, ohne dass dadurch das Verhältnis zum Bittenden auf Dauer beschädigt wäre.
Vorteile – Bitten setzt eine gewisse Augenhöhe voraus und es bleibt die Würde aller Beteiligter gewahrt. – Bitten kann die Türen der Gabe sperrangelweit öffnen, es erreicht das Herz. | Nachteile – Die Gebetenen haben die Freiheit, die Bitte auszuschlagen oder verzögert darauf zu reagieren. – Bitten ist anstrengend, denn ich muss mir Gedanken über meinen Wunsch und über mein Gegenüber machen. |
Fundraising hat das Ziel, mit Menschen ernsthaft über eine Förderung des Gemeinwohls zu sprechen. Wir respektieren die Freiheit der Gebenden und sind uns bewusst, dass es sehr viele Zwecke gibt, für die Unterstützung notwendig ist. Bitten heißt, wir befinden uns im Wettbewerb mit anderen Zwecken und respektieren diese.
Und aus diesem Grund schreiben wir keine Bettelbriefe, sondern kommunizieren und bitten per Brief. Fundraising bedeutet Kommunikation auf Augenhöhe. Fundraising respektiert das Ja, das Nein und das Später.
Dieser Text ist ein kleiner Auszug aus meinem Buch
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