100 % für den Zweck ist … Spendertäuschung

Ein bedeutender Teil der Ausgaben in vielen NPOs sind die Kosten für die Infrastruktur (Räume, EDV, Fahrzeuge, Gerätschaften) und die Gehälter der Mitarbeitenden. Es gibt nicht immer die einfach abgrenzbaren Projekte und Einzelmaßnahmen, welche in Fallbeispielen beschrieben oder von Stiftungen gerne gefördert werden. Und das ist für viele Fundraiser*innen oder NPO-Vorstände ein großes Problem, welches sie im Fundraising blockiert. Und dann kommt noch die leidige Frage auf, wie man denn mit Verwaltungskosten umgehen dürfe.

Am liebsten würden viele ihre Spende ohne den Umweg über die NPO geben

Spender*innen geben am liebsten so, dass sie das Gefühl haben, ihre Spenden kommen direkt und ungeschmälert beim beworbenen Zweck an. Die Spende soll maximal wirken. Am liebsten gäben sie sie direkt dem Wohnungslosen, der begabten Jungmusikerin oder finanzierten die Sense für den Landschaftspflege-Trupp.

Die Wirkung der meisten NPOs besteht aber zum Glück nicht aus kleinen Einzelaktivitäten, sondern aus kontinuierlich aufgebauter und verlässlicher Arbeit. Und diese müssen wir so bewerben, dass sie an die Bedürfnisse der Förderer nach Unmittelbarkeit andockt.

100 % für den Zweck sind unlauter

Bei vielen Stiftungen oder anderen Fördermittelgebenden liest man oft, dass Verwaltungskosten nur in geringem Umfang oder überhaupt nicht gefördert werden. Gleiches gilt für kalkulatorische oder anteilige Gemeinkosten. Großes Mantra: Alles muss zu 100 Prozent bei den Klienten oder dem Förderzweck ankommen.

Das ist ein naiver und weltfremder Standpunkt. Zum einen ist es so, dass die meisten Fördergeber, welches diese 100-Prozent-Marge postulieren, selbst auch Kosten haben. Auch wenn diese Kosten oft von Dritten getragen werden, fallen sie trotzdem an, werden nur verschleiert.

Das Gleiche gilt, wenn NPOs damit werben, dass die projektbezogenen Spenden zu 100 % in den jeweiligen Zweck fließen. Letztendlich bedeutet das doch nur, dass die administrativen Kosten (Verwaltung, Fundraising) von einer anderen Stelle finanziert werden. Plakativ gesagt: Irgendjemand ist der Dumme, der für Verwaltung bezahlt, damit andere ihr reines Gewissen der 100-prozentigen Wirkung erhalten können.

Vergleich mit der Wirtschaft
Wenn man den 100-Prozent-Ansatz auf die freie Wirtschaft übertragen würde, hieße das, dass ein Unternehmen seine Produkte so kalkulieren müsste, dass die Kunden ausschließlich Materialkosten und Fertigungskosten zahlen müssten. Doch da fehlen noch die Ausgaben für
– Personalbuchhaltung,
– Entwicklung,
– Vertrieb,
– Maschinenpark,
– Gebäude,
– etc.
Und da ist noch kein Gewinn oder Überschuss für Investitionen enthalten. Von welchem Geld sollte ein Unternehmen denn überhaupt in der Lage sein, die notwendige Infrastruktur für die Erstellung eines Produktes vorzuhalten, wenn jeder Käufer bei jedem Produkt diese Rechnung aufmachen würde?

Woher kommen die Mittel für Gemeinkosten?

Gemeinnützige NPOs müssen professionell arbeiten, das heißt arbeitsteilig. Nur bezahlen möchte das niemand. Es herrscht die Vorstellung, dass NPOs schon irgendwo das Geld herbekommen, um die Gemeinkosten tragen zu können.

Doch woher soll das Geld kommen? Aus öffentlichen Zuschüssen kann selten ein Überschuss erwirtschaftet werden. Und Zuschüsse bedeuten immer, dass Eigenmittel mitgebracht werden müssen. Leistungsentgelte, Pflegesätze etc. sind meist so eng kalkuliert, dass auch diese nur knapp die Kosten in der Realität decken. Überschüsse sind da schon lange nicht mehr, geschweige denn in nennenswertem Umfang, erzielbar.

Es bleibt als mögliche Quelle für Gemeinkosten die Spenderschaft. Doch warum sollen Spender*innen für die Gemeinkosten einer Organisation aufkommen, damit die großen Fördergeber oder Stiftungen ihr 100-Prozent-Dogma halten können?

Es bleiben zuletzt noch mögliche Mitgliedsbeiträge oder sonstige Einnahmen, zum Beispiel aus Kapitalerträgen, Vermietungen etc. Wenn eine NPO weder zahlende Mitglieder noch Kapitalerträge hat, dann hat sie wohl Pech.

Antragsrichtlinien bei Stiftungen und sonstigen Fördermittelgebern ohne Verwaltungskostenanteile entwerten die Professionalität von NPOs. Denn es wird getan, als ob die Gemeinkosten nichts zum Erfolg der gemeinnützigen Arbeit beitragen würden.

Doch zu welcher Arbeit kämen zum Beispiel Sozialarbeiter*innen denn noch, wenn sie neben ihrer regulären Arbeitszeit

  • Gehälter berechnen,
  • die Telefonzentrale besetzen,
  • Förderanträgen stellen und Abrechnungen bearbeiten,
  • Öffentlichkeitsarbeit betreiben,
  • Verhandlungen mit Zuschussgebern führen
  • und sich um Softwarewartung kümmern sollten?

Zu professioneller Arbeit in NPOs gehören die Allgemeinkosten. Mitarbeitende an der Pforte, in der Technik, der Buchhaltung, der Öffentlichkeitsarbeit, dem Fundraising etc. tragen auch zum Erfolg der gemeinnützigen Arbeit bei. Das muss sich auch in Förderrichtlinien widerspiegeln. Und dies müssen wir Fundraiser*innen im Kontakt mit Förderstiftungen immer und immer wieder thematisieren.

NPOs, welche mit dem 100-Prozent-Versprechen werben, verhalten sich unsolidarisch gegenüber all den NPOs, welche transparent ihre Kosten mit einpreisen.


Hurra, ein neues Fundraising-Standardwerk!
(Dr. Christoph Müllerleile)

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2 thoughts on “100 % für den Zweck ist … Spendertäuschung

  1. Lieber Herr Dörfner, Ihre Statements sind sehr interessant für mich als Vorstand einer Stiftung, die keine Kapitalerträge oder Mieteinkünfte hat. Wir müssen es also schaffen, irgendwo anders Einnahmen zu generieren und da kommen Spenden ins Spiel. Gerne würde ich Ihre Anregungen umsetzen, aber hierfür benötigt man auch Personal, was bei uns nur ehrenamtlich in Vorstand und Beirat arbeitet. So beißt sich hier die Katze leider in den Schwanz. Ich werde Ihre Tipps weiterhin lesen, vielleicht finde ich ja doch noch einen für uns machbaren Weg. Viele liebe Grüße, Brigitte Thamm

    1. Liebe Frau Fr. Thamm,
      das ist die Situation fast aller gemeinnütziger NPOs im Anfangsstadium und man muss dann ein passendes Konzept finden, wie man entweder mit den bestehenden Ehrenamtlichen, weiteren Engagierten oder anfangs auf honorarbasis bezahlten Berater*innen die finanzielle Lage entwickelt. Da gibt es durchaus fähige Menschen, welche mit Ihrem Team einen solchen Prozess beginnen könnten.
      Herzlicher Gruß
      Kai Dörfner

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